Die Kunst des Konflikts: Konflikte schüren und beruhigen lernen von Klaus Eidenschink

 

Nach dem gemeinsamen Buch mit Ulrich Merkes – Entscheidungen ohne Grund, Organisationen verstehen und beraten, Eine Metatheorie der Veränderung (2021) widmet Klaus Eidenschink sein zweites Buch „Die Kunst des Konflikts: Konflikte schüren und beruhigen lernen“ einem Thema, das nicht nur den Zeitgeist trifft, sondern in seinem Theoriegebäude und praktischen Wirken rund um die Beratung von Menschen, Teams und Organisationen einen zentralen Platz einnimmt: Der Entstehung, Funktion und Bedeutung des Phänomens Konflikt.

Wieder nimmt er seine Leser:innen beim Bemühen um Verstehen mit Blick durch das systemtheoretische Mikro- oder Teleskop mit auf die Reise in eine vieldeutige Welt.

Auf den ersten Blick irritierend ist, dass der Konflikt als eine eigenständige Figur eingeführt wird. Der Konflikt hat gleichsam sein Eigenleben, das von den Motiven und Erlebensweisen der Konfliktparteien unterscheidbar ist. Sein Zweck ist es, unpassend gewordene, überholte soziale Ordnungen sichtbar zu machen und die Konfliktpartner:innen in seinen Bann zu ziehen, damit sie sich damit auseinandersetzen müssen. Das Spielfeld, auf dem diese Auseinandersetzung stattfindet ist ganz im Sinne der Systemtheorie N. Luhmanns die Kommunikation. Das Wesen eines jeden Konflikts ist – denkbar einfach – die doppelte Verneinung in der Interaktion, also ein Nein, auf das ein Nein folgt. Und eine weitere Besonderheit: Der Konflikt hat kein Eigeninteresse an seiner eigenen Auflösung, er hat vielmehr endlos Zeit fortzubestehen.

Eine zweite Irritation in diesem Buch ist die Feststellung, dass es keine dauerhaft konfliktfreie Welt geben kann. Konflikt und Konsens gehören zusammen, können nicht ohne einander existieren, sind nicht auf normative Weise als besser oder schlechter bewertbar. Das ist erst einmal kontraintuitiv, sind doch Harmonie und Konsens in den Weltkulturen und -gesellschaften durchweg als erstrebenswerter Grundmodus anerkannt. Grund dafür ist, dass Kommunikation zum eigenen Fortbestehen auf Konflikt angewiesen ist und dass die Wahrscheinlichkeit für Verneinung grundsätzlich größer ist als die für Bejahung.

Schließlich überrascht die Erkenntnis, dass nicht nur das „Konflikte befrieden“, sondern auch das „Konflikte schüren“ (der Untertitel des Buches) – in Abhängigkeit von der Interessenlage der Konfliktparteien – ein probates Mittel im Umgang mit Konfliktdynamik und für die Entstehung neuer Ordnung sein kann. Das leuchtet ein, wenn es beispielsweise in asymmetrischen Machtverhältnissen zu Veränderungen kommen soll (Beispiel: Klima-Aktivist:innen haben innerhalb des bestehenden gesellschaftlichen Konsenses eher die Möglichkeit, durch das Ergreifen von drastischen Mitteln auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen).

Insofern ist es passender, eher über eine Konfliktregulationskompetenz nachzudenken, die dieser Sicht auf Konflikte angemessen ist, als der Konfliktbeendung gegenüber dem Schüren apriori den (moralischen) Vorzug zu geben.

Bevor sich der Autor der Konfliktdynamik im Detail zuwendet, bietet er seinen Leser:innen anhand von zwei Fragenkatalogen die Möglichkeit, eigenen unbewussten, dysfunktionalen Vorlieben in die eine oder andere der oben beschriebenen Richtungen auf die Spur zu kommen. Diesen Abschnitt des Buches fand ich beim Lesen vor allem auf der praktischen Ebene besonders anschaulich, denn sowohl bei den eigenen Vorlieben im Allgemeinen als auch bei konkreten Konfliktsituationen wurde mir sehr schnell klar, auf welche Weise ich zur Aufrechterhaltung von Konflikten in meinem Leben immer wieder unfreiwillig beitrage.

Für die systematische Darstellung der Konfliktdynamik im theoretischen und seine Empfehlungen für eine Entwicklung der Konfliktregulationskompetenz im praktischen Teil des Buches, greift Eidenschink auf den, bereits in den Feldern Psycho-, Team- und Organisationsdynamik der Metatheorie der Veränderung entwickelten Schematismus der Leitunterscheidungen für Systeme zurück. Die Logik dieses Schemas, das Eidenschink bereits in einem frühen Artikel zum Thema „Führen ist Stress“ in der Zeitschrift Gestalttherapie (Ausgabe 2/2002) eingeführt hatte, begleitet sein differenztheoretisches Denken bis heute konsequent und basiert auf der Idee polarer Gegensätze, die die Beschreibung von Mehrdeutigkeit der Realität abbildbar mach

Dieser Schematismus kommt zunächst erneut etwas sperrig daher und lässt in mir als Leser den Eindruck leicht überzogener Ordnungsliebe entstehen. Er erweist sich bei sorgfältigem Hinschauen mit den sich hieraus ergebenden Erkenntnissen allerdings erneut als eine ergiebige Heuristik, die sich als hoch praxisrelevant entpuppt. Ob dabei die einzelnen Bezeichnungen und Begrifflichkeiten des Modells alle optimal getroffen sind und ob nicht auch weitere Leitunterscheidungen relevant sein könnten sei dahingestellt, das wird auch vom Autor explizit nicht ausgeschlossen.

Im zweiten Teil des Buches wendet sich Eidenschink der Frage zu, welche persönlichen und praktischen Implikationen sein Modell für Konfliktpartner:innen haben kann. Dabei wird sehr spürbar, wie viel dem Autor neben aller klugen Reflexion an einer Vermeidung überflüssiger Eskalation von Konflikten gelegen ist. Erst einmal braucht es die Bereitschaft der Konfliktparteien, in Konflikten bei sich zu schauen, d.h. sich den vielen persönlichen, auch unangenehmen Implikationen bei der Konfliktregulation zu stellen. Hierfür bietet das Modell einige Unterstützung. Anschließend geht es darum, auch der anderen Konfliktpartei zuzugestehen, dass sie eine eigene begründete Sicht auf den Konflikt, eigene nachvollziehbare Motive und Interessen hat. Sodann besteht eine Chance, dass Konflikte ihre konstruktive, funktionale Bedeutung im sozialen Miteinander entfalten und gleichzeitig unnötige Eskalationen reguliert werden können.

Mein Fazit: Wer eine erfrischend andere Sicht auf das Thema Konflikt wagen will, dem ist dieses Buch sehr zu empfehlen. Und wer sich dieses Buch mit dem zugegebenermaßen nötigen Durchhaltevermögen ernsthaft erarbeitet, der wird vielleicht danach etwas verändert auf sich und seine Umwelt schauen.